Dialoge beispielhaft

Wir bringen hier Beispiele aus verschiedenen Medien, in denen es um Dialog oder auch seine Hintergründe geht, sei dieses Wort nun genannt oder nicht. Manchmal handelt es sich auch um das Gegenteil oder um Verhinderung von Dialog.
Selbstverständlich geben die hier zitierten Ausschnitte nicht unbedingt die Sicht des Dachau Instituts wieder. Für ihre Richtigkeit sind die jeweiligen Autor:innen verantwortlich. Angeordnet sind sie in der Reihenfolge, wie sie uns bekannt wurden.
Es zeigt sich die große Bandbreite rund um das Wort „Dialog“.

Thomas Schwarz, katholischer Priester und Chef des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis, äußert sich mit Blick auf die kommende Weltsynode u.a. so: „Wenn wir dahin kämen, als Kirche den Weg anderer Kontinente staunend zu begleiten, ohne das vielleicht alles selbst umsetzen zu müssen – und vor allem, ohne uns gegenseitig die Katholizität abusprechen: Das wäre ein großer Schritt nach vorne. (…) Wenn das Ergebnis der Synode ist, dass wir aufhören, uns gegenseitig die Keule der Ungläubigkeit auf die Köpfe zu schlagen, sondern stattdessen aufeinander hören, einander fragen, verstehen zu versuchen – dann wäre sie ein großer Erfolg.“ (SZ, 30. 9. 2024, S. 2)

Antje Leendertse, deutsche Botschafterin bei der UN und zusammen mit dem namibischen Kollegen Neville Gertze federführend bei der hoch schwierigen Erstellung eines nur 20seitigen „Pakts für die Zukunft“, den die UN-Vollversammlung beschließen soll (was dann tatsächlich geschah), fasst ihre Erfahrungen so zusammen: „Wenn man multilateral arbeitet, dann muss man sich von zwei Dingen fernhalten: Naivität und Zynismus. Und was in der Mitte liegt zwischen diesen beiden Irrwegen, darauf müssen wir freundlich, aber fest weiterschreiten.“ (SZ, 21./22. 9. 2024, S. 3)

Es muss und es wird Frieden geben
Lahav Shani, Leiter des Israel Philharmonic Orchestra und ab 2026 Chefdirigent der Münchner Philharmoniker, äußert sich profund und persönlich zur Situation in seinem Land und in der Welt. Er schließt mit diesen Worten:
„Sogar der Zweite Weltkrieg war eines Tages zu Ende. Frieden wurde erreicht. Versöhnung wurde möglich, Freundschaft sogar. Zum 80. Jahrestag dieses Friedens, im Mai 2025, werden das Israel Philharmonic Orchestra und die Münchner Philharmoniker unter meiner Leitung hier in München zusammenspielen. Sie werden nebeneinander an den Notenpulten sitzen und ein Zeichen setzen, ein Zeichen für die Menschlichkeit. Wir werden die Idee feiern, dass Feinde zusammenkommen können und beste Freunde werden, um auf dem höchsten menschenmöglichen Level zu kommunizieren. Darum geht es.“ (SZ, 31. 8. / 1. 9. 2024, S. 16)

Moralischer Bankrott, so ist in der SZ vom 19. 8. 2024 (S. 9) eine Besprechung von Felix Stephan überschrieben, die sich mit einem Essay von Jens Balzer After Woke befasst. Hier werden solche Ansätze postkolonialistischer Ausrichtung kritisiert, soweit sie in eine Art von „Wahrheitsregime“ verfallen seien. „Diese Wahrheitsregime forderten von den Subjekten, die ihnen unterliegen, strengen Gehorsam, jedoch ohne äußeren Zwang, sondern ‚durch die Verinnerlichung des Zwangs und durch seine Verwandlung in einen moralischen Impuls, nämlich in den Impuls, ein besserer Mensch zu werden'“. (…) Auf diese Weise sei der Postkolonialismus in genau jenes Muster verfallen, das er eigentlich bekämpfen wollte. Statt den starren Identitätsfestlegungen der völkischen Ideologien einen Begriff von Identität entgegenzustellen, der ephemer und performativ ist, habe er nur neue Identitätsdogmen betoniert.“
„Wie also weiter? Balzer bringt die Diskursethik von Jürgen Habermas ins Spiel, die zwar ebenfalls die Aufforderung enthält, die eigene Position permanent einer gründlichen Prüfung zu unterziehen, allerdings nicht in erster Linie mit dem Ziel, selbst ein besserer Mensch zu werden, sondern mit dem Ziel, dem besseren Argument ohne Anschauung des Sprechenden die maximale Geltung zu verschaffen.“

Der Psychiater und Psychotherapeut Josef Aldenhoff schreibt unter dem Titel Ich kann nicht mehr (… )Was tun? Eine Antwort – vom Therapeuten in der SZ vom 13./14. 7. 2024, S. 15:
„Konkret kommt meine pazifistische Grundeinstellung mit meiner aktuellen Einstellung zum Krieg nicht mehr zurecht. Meine Haltung hierzu hat sich vollkommen geändert, unversehens und natürlich ohne dass ich das wollte. Ich bin 76 Jahre alt, und mein lebenslanges Mantra war, dass der Dialog, die Kommunikation, die Diplomatie nie aufgegeben und durch Krieg ersetzt werden dürfe. (…)
Aus den Informationen in meiner Zeitung über diesen nahen Krieg wurde mir auch klar, dass wir uns zur Wehr setzen müssen, und was heißt ‚wir‘ anders als auch ich. Sonst verliere ich alles, was mir wichig ist, nämlich meine Menschlichkeit. Menschlich ist nicht nur meine Fähigkeit zur Empathie. Menschlich ist auch die Freiheit jedes Einzelnen, zu denken, zu lesen, zu reden, zu schreiben. All das steht bekannterweise im Gegensatz zur herrschenden Doktrin in Russland und wird von ihr bedroht. (…)
Der Angreifer drängt mich in eine Haltung, die meiner Empathie entgegengesetzt ist, die sie zerstört. Folglich stehen die beiden Wünsche, menschlich zu bleiben und mich zu verteidigen, in einem unvereinbaren Widerspruch. Die Gefahr ist groß, dazwischen zerrieben zu werden. Diese Dissonanz ist für den Einzelnen (…) und für die Gesellschaft (…) schwer auszuhalten.“

T.C. Boyle in einem Interview
„Elvis Costello fragt in einem seiner Songs: ‚Was ist so lustig an Frieden, Liebe und Verständnis?‘ In einem Amerika, das so radikal gespalten ist, können wir wahrlich ein wenig mehr davon gebrauchen. Wir erleben derzeit auch zwei große Kriege, China poltert gegen Taiwan, das ist insgesamt sehr beunruhigend. Denn niemand kann die Bösen davon abhalten, sich zu holen, was sie wollen. Die Idee der Demokratie, der Freiheit und auch dessen, was wir beide hier tun, nämlich uns über jedes beliebige Thema friedlich unterhalten zu können, ist ein Wunder in der Geschichte der Menschheit. Und ich glaube, dass wir leider sein Ende erleben werden.“

Gesucht: Willy Brandt (Niels Minkmar, SZ 7. 5. 2024, S. 9)
Nach seinem Rücktritt am 7. Mai vor 50 Jahren galt die von Brandt verkörperte geistige und politische Kreativität, die Verhältnisse hinterfragt und ändern möchte, als frühes Syptom von Schwäche. Ihm folgten im Amt des Kanzlers ein Macher, ein Aussitzer oder Kombinationen davon. Gerhard Schröder imitierte im Beginn den Schwung Brandts, am Ende aber steht größtmögliche Distanz: Niemals hätte sich Brandt von den Feinden der offenen Gesellschaft in Lohn und Brot nehmen lassen.“

Die heftigen Kämpfe, die kürzlich zur Rücktrittsdrohung des spanischen Ministerpräsidenten geführt haben, können wir nicht näher beurteilen. Auf jeden Fall war es wohl eine ausgesprochene Schlammschlacht, weit entfernt von dem, was sich noch als dialogische Auseinandersetzung bezeichnen ließe.
„Dann am Montag die versprochene Entscheidung. Zur Frage ‚Weitermachen oder nicht‘ sagte Pedro Sanchez: ‚Wenn wir als Gesellschaft wahllose Angriffe auf unschuldige Personen [gemeint ist wohl seine Frau; DI] zulassen, hat es keinen Sinn. Wenn wir zulassen, dass der Parteienstreit mit Hass, Hinterhältigkeit und Lügen ausgetragen wird, hat es keinen Sinn. Wenn wir zulassen, dass plumpeste Lügen eine respektvolle Debatte ersetzen, hat es keinen Sinn.‘ Wer des Amt des Regierungschefs ausübe, dürfe in seiner Ehre nicht mutwillig verletzt werden. Daher gäbe es Momente, in denen man ‚es reicht‘ sagen müsse, sonst bestimme der Verfall der politischen Kultur die Zukunft. Meinungsfreiheit mit Recht auf Diffamierung zu verwsechseln, sei eine Perversion der Demokratie“ (der Freitag, 2. 5. 2024, S. 2).

Wie geht Liebe im Alter? (SZ, 27./28. 4. 2024, S. 55)
In diesem Artikel der langjährig erfahrenen Paartherapeutin Katrin Norman heißt es unter anderem:
„Dieser Teil der Beratung liegt mir besonders am Herzen, denn es ist für mich der wichtigste: sich zuzuhören, gegenseitiges Verständnis zu entwickeln, ohne – und das ist essentziell – grundsätzlich einverstanden sein zu müssen. Das macht den großen Unterschied. Es geht also nicht um Kommunikationstechniken, sondern um ein tiefes wechselseitiges Verstehen. (…)
Wenn wir akzeptieren können, dass es den idealen Partner, die ideale Partnerin nicht gibt, aber noch ein Grundstock an Liebe füreinander, Respekt und Anerkennung vorhanden sind, dann ist ein wichtiger Schritt getan. (…)
Verstehen heißt nicht, einverstanden zu sein.“

Wir alle sind in die Ausbeutung verstrickt (von Judith Solty, der Freitag, 25. 4. 2024, S. 24)
„Wenn du auf dem Heimweg von der Arbeit einen Obdachlosen siehst, an der Supermarktkasse hinter einer Mutter wartest, die Coupons zählt, oder deine Burger und Pommes von einer Frau serviert bekommst, die längst in Rente sein müsste, dann frage dich: ‚Wem nutzt das? Nicht: Warum suchst du dir keine bessere Arbeit?‘ Dazu fordert uns Matthew Desmond in seinem neuen Buch Armut – eine amerikanische Katastrophe auf.
Armut erscheint zu vielen als persönlicher Makel. (…) Zu wenige begreifen Armut als Folge von sozialer Ungerechtigkeit. (…)
Desmond betont jedoch: Seine Vorschläge, wie Armut zu überwinden sei, würden sich nicht gegen den Kapitalismus per se richten, sondern gegen Ausbeutung und Ungleichheit. ‚Sie sind Rufe nach einem Kapitalismus, der den Menschen dient, und nicht umgekehrt.‘
Tatsächlich scheinen für Desmond sämtliche seiner Vorschläge innerhalb der bestehenden Wirtschafts- und Eigentumsordnung umsetzbar zu sein. Besonders plakativ: Um alle Einkommen unterhalb der Armutsgrenze wenigstens bis zu ihr anzuheben, bräuchte es 177 Milliarden US-Dollar. Fast dieselbe Summe stünde dem Staat zur Verfügung, würde er einfach nur jene Steuern beim reichsten einen Prozent der Bevölkerung eintreiben, die ihm schon nach geltender Gesetzeslage zustehen.“

Scholz: Was Kant Putin zu sagen hätte
Unter dieser Überschrift ist im Hauptbericht der SZ vom 23. 4. 2024 auf Seite 1 zu lesen:
„An diesem Montag vor 300 Jahren wurde Immanuel Kant geborgen, der Philosoph aus Königsberg, und alle wollen ihn für sich vereinnahmen. (…)
Dem Versuch Putins, den Begründer der deutschen Aufklärung für sich zu beanspruchen, hat am Montag allerdings ein Mann entschieden widersprochen: Bundeskanzler Olaf Scholz. Aus seiner Sicht widerspricht Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine allem, wofür Immanuel Kant steht. Russlands Präsident habe ’nicht die geringste Berechtiung, sich auf Kant zu berufen‘, sagte Scholz am Montag beim Festakt zum 300. Geburtstag Kants in Berlin.“

Das größte Böse
Aus dem so überschriebenen Artikel stammt der folgende Absatz:
„Der US-Journalist Chris Hedges, der jahrzehntelang über Kriegsgebiete schrieb, hat 2022 The Greatest Evil is War (Das größte Böse ist Krieg) vorgelegt. Er merkt an: ‚Ich trage den Tod in mir. Den Geruch von verwesten und aufgedunsenen Leichen. Die Schreie der Verwundeten. Die Schreie der Kinder. Den Klang der Schüsse. Die ohrenbetäubenden Explosionen. Die Angst. Den Gestank von Kordit. Die Demütigung, die entsteht, wenn man sich dem Terror ergibt und um sein Leben bettelt. Den Verlust von Kameraden und Freunden. Und dann die Nachwirkungen. Die lange Entfremdung. Die Gefühllosigkeit. Die Albträume. Den Schlafmangel. Die Unfähigkeit, sich mit allen Lebenwesen zu verbinden, selbst mit denen, die wir am meisten lieben'“ (der Freitag, 18. 4. 2024, S. 9).
So eindringlich in nur wenigen Worten: die entsetzlichen Folgen von zerbrochenem Dialog.
Die zitierte Stelle findet sich im genannten Buch auf Seite 179.

Ohne Gott fehlt der Sinn in der Welt
Das ist die Überschrift zu einem Interview in Publik Forum, 12. 4. 2024, S. 12-16. Der Blick wird auf Immanuel Kant gerichtet anlässlich von dessen 300. Geburtstag am 22. 4. 2024. Im Vorspann heißt es: „Immanuel Kant war nicht der Zertrümmerer der Religion, sondern ihr Erneuerer, sagt der Philosoph Volker Gerhardt.“ Hier eine Antwort des Interviewten auf die Frage nach einer unsterblichen Seele:
„Die Erwartung, dass da etwas bleibt von dem, was ich tue, und zwar nicht nur in dem Sinne, dass man Kinder hat, die dann wieder Kinder bekommen. Es kann schon reichen, wenn man ein Beispiel für das Menschliche gibt! Das ‚Glaubenssymbol‘, das Jesus für Kant darstellt, liegt ja auch nur in dem Zeichen, das er durch sein Dasein gibt. (…) So verstehe ich Unsterblichkeit nicht als spätere Auszeichnung oder gar in Belohnung oder Strafe. Sie liegt in dem Beispiel, das ich gebe“ (S. 15).

Empathie ist nicht angeboren
So ist in der SZ vom 11. 4. 2024 (S. R6) ein Interview überschrieben, das Martina Scherf mit dem Entwicklungspsychologen Markus Paulus geführt hat. Dort heißt es unter anderem:
„Empathie bedeutet, man kann die Gefühlslage eines anderen wahrnehmen und verstehen. Mitgefühl hingegen ist mit Gefühlen der Fürsorge, Zuwendung und Wärme verbunden, man will, dass es der Person besser geht. Darunter gibt es noch die bloße Gefühlsansteckung. (…) Man wird mitgerissen von einer Stimmung und schwingt mit der Menge.“
„Wer gelernt hat, sich um sich selbst zu kümmern, seine eigenen Gefühle wahrzunehmen und zu äußern, lebt Kindern vor, wie man mit Wut, Trauer, Angst umgehen kann.“
„Das ist das Schöne an dieser Forschung: Man verliert den Glauben an das Gute im Menschen nicht.“

Söder: Dialog mit China statt Monolog
„Nach dem Empfang beim chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ein positives Fazit seiner mehrtägigen Chinareise gezogen. Sein Konzept ‚Dialog statt Monolog‘ sah er schon deshalb bestätigt, weil man sich wiedersehen wolle. Es sei besser, als sich ‚einmal gründlich die Meinung zu sagen und dann den Gesprächsdraht verbrannt zu haben'“ (F.A.Z., 28.3.2024, S. 5).
Einige Seiten weiter (S. 10) heißt es im zugehörigen Kommentar:
„Söder versicherte, in China ‚Realpolitik statt nur Moralpolitik‘ treiben zu wollen. Menschenrechte wolle er ansprechen, aber anders als andere, was wohl auf die Moralpolitik Baerbocks gemünzt war. Selbst der realpolitische Söder kam aber nicht ganz ohne Baerbock-Faeser-Facetten aus. In ebenso ‚freundlichem Ton‘, in dem er deutsche Sorgen vorbringen wollte, präsentierte er im Netz Hühnerfüße, Entenzungen und Hasenköpfe. Das esse er nicht, aber wem es schmecke… Man stelle sich vor, Li Qiang, Premierminister der Volksrepublik und Gastgeber Söders in Peking, ließe sich beim Gegenbesuch in Bayern derart über Knödel, Bratwurst oder Bier aus.“

Freundschaft als Antwort
Im einleitenden Artikel von Peter Neumann zur Verleihung des Leipziger Buchpreises an Omri Boehm heißt es:
(Hannah) „Arendts Freundschaft war eine öffentliche Angelegenheit. Sie war eine Öffnung zur Welt, die auch noch dort Verbindungen schlagen konnte, wo alle Brücken längst abgerissen waren. Es ist diese Rettung in dunklen Zeiten, die nun auch Omri Boehm in seiner Rede zur Verleihung des Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung beschäftigt, die wir hier veröffentlichen. (…)
Arendt wandte sich mit der Idee der Freundschaft als dialogisches Prinzip nicht nur gegen das Schweigen der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Sie suchte auch ein Mittel gegen die Politik der nationalen Alleingänge, gegen die Zersplitterung der Identitäten“ (Die Zeit, 21. 3. 2024, S. 43).

Das Gewand der Menschlichkeit
Aus der Rede von Omri Boehm, zurückgreifend auf Lessing und Kant und mit Blick auf die aktuelle Situation zwischen Menschen in Israel und Gaza: „Wenn wir jedoch einen Freund haben, dem wir vertrauen, können wir uns ihm ‚eröffnen‘ und sind ’nicht ganz allein‘ mit unseren Gedanken ‚wie in einem Gefängnis‘. Das Wort ‚eröffnen‘ ist das Herzstück der Idee der Freundschaft. Wo sich die Öffentlichkeit verdunkelt und das Licht, das für das Selbstdenken notwendig ist, schwindet, erlaubt uns die Freundschaft, unser Denken zu öffnen und die transformative Kraft, ja das revolutionäre Potenzial des Selbstdenkens in dunklen Zeit zu bewahren“ (Die Zeit, 21. 3. 2024, S. 44).

„Im Herzen Dublins liegt die Evangelisch-Lutherische St. Finlan’s-Kirche. Ihre Mitglieder kommen aus der Republik Irland, aus Nordirland und anderen Ländern. Grenzen lassen sich überwinden.
Sie sind ambivalent. Sie können eine scharfe Trennlinie sein. Man kann eine ziehen, um Schlimmeres zu verhindern. Und Grenzen können spalten: Familie, Gedanken, ja ganze Länder wie Irland wurden geteilt – in die hier und die anderen dort.“
(ZDF, Ankündigungstext für den Evangelischen Gottesdienst am 17. 3. 2024, dem St. Patricks-Day in Irland)

„Die Linke, die echte Linke, zieht das zerbrechliche Versprechen unvollkommener Gerechtigkeit immer dem sicheren Hass betrügerischer Selbstgerechtigkeit vor.“
Das ist ein gewichtiger Satz. Er stammt von der israelischen Soziologin Eva Illouz (der Freitag, 14. 3. 24, S. 17).
Zugleich, so aus dem Kontext genommen, könnten Missverständnisse auftauchen, als wolle die Autorin dies allgemein allen Linken zuschreiben und allen Nicht-Linken aberkennen. Vielmehr richtet sich der Satz wie der ganze Artikel (Warum Judith Butler keine Linke ist) konkret gegen Butlers Abstreiten der Hamas-Greueltaten gegen israelische Frauen am 7. Oktober 2023.
Es sei etwas mehr zitiert:
„Blutrünstige Fundamentalisten als Widerstandskämpfer zu bezeichnen, verwischt jeden Unterschied zwischen diesen beiden Lagern. Es rechtfertigt die Taten jener, die ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben und die in völliger Gleichgültigkeit gegenüber ihrem Volk gehandelt haben. Wenn wir den Palästinenserinnen und Palästinensern, die heute vom Fundamentalismus und dem grausamen Krieg Israels bedroht sind, mit aller Kraft helfen wollen, wenn wir wollen, dass diese Bevölkerung, die unter verbrecherischen Anführern und der israelischen Besatzung leidet, endlich in Würde und Unabhängigkeit leben kann, dann müsssen wir den plumpen Linksradikalismus von Judith Butler energisch zurückweisen.“

Das sind Menschen
So lautet der Titel eines SZ-Artikels (11. 3. 2024, S. 9), den die deutsche Schriftstellerin Joana Osman geschrieben hat. Der Untertitel lautet:
Lasst uns über Dehumanisierung sprechen, dann lassen sich Zyklen des Hasses durchbrechen. Selbst in Nahost
Die Autorin stammt ab von einem palästinensischen Vater und einer deutschen Mutter und hat seit Langem viele Kontakte nach Palästina wie auch nach Israel. Sie fühlt tiefen Schmerz mit beiden Seiten. Was heißt hier eigentlich: „beide Seiten“? Da gäbe es noch eine andere Sichtweise:
„Der Konflikt wird nicht zwischen der israelischen und der palästinensischen Zivilbevölkerung , sondern er wird von Menschen geführt, die Sieg wollen, gegen Menschen, die sich Frieden wünschen. Beide Arten von Menschen gibt es auf beiden Seiten.“
„Dehumanisierung bedeutet, die ‚andere Seite‘ als gesichtslose Masse zu sehen, die eine Bedrohung darstellt. (…) Dehumanisierung beginnt mit Worten und endet mit Taten. Dehumanisierung führt zu Empathelosigkeit, zu Verrohung, zu Hass, Häme und Hetze.“
Aber auch: „Die schmerzhafte Wahrheit ist, dass auch wir, die wir dem Konflikt zusehen, Dehumanisierung betreiben. (…) Vor allem immer dann, wenn wir in Lagerdenken verfallen und uns aus politischen Gründen mit einer Seite solidarisieren und dabei das Leid der anderen Seite negieren, kleinreden, oder leugnen.“
Und schließlich: „Das Gegengift zu Dehumanisierung ist natürlich Rehumanisierung. Das Sichtbarmachen der Menschen hinter dem Label. Das Hervorheben ihrer Individualität, auch ihrer Heterogenität.“
Das verbindet die Autorin mit dem Blick auf ganz konkrete Menschen, denen sie nahe ist. Auf „beiden Seiten“ von all denen, die Frieden wünschen.

Noch eine Passage aus dem vorstehend zitierten Text von Joana Osman. Überdeutlich kommt hier zur Sprache, wie Dialog, das Gespräch zwischen zwei Seiten, in sein genaues Gegenteil verfällt. Der andere wird nicht mehr gesehen. Beide Seiten befinden sich im Trauma-Modus, können nur noch um sich kreisen. Die folgenden Worte stehen paradigmatisch für ganz vieles, das in dieser ver-rückten Welt los ist.
„Der Nahostkonflikt war schon immer auch ein Krieg der Narrative. Und ich kenne sie alle. Mit Israelis und Palästinensern über den Nahostkonflikt zu diskutieren ist wie Schachspielen: Ein Zug bedingt den nächsten, ein Argument folgt auf das andere. Der Verlauf jeder Diskussion darüber ist ziemlich präzise vorherzusehen, wenn man, so wie ich, die Narrative beider Seiten unzählige Male in jeglicher Ausführung gehört hat“ (Joana Osman, siehe oben).
Immerhin eine kleine Hoffnung: Es gibt hier jemand Drittes. Sie kennt beide Seiten. Aber wie kann sie Gehör finden?

„Der Slogan soll Programm und zugleich Aufruf sein: ‚Sei ein Mensch!‘ Zusammen mit zahlreichen Institutionen aus Politik und Gesellschaft startet die Stadt München eine Kampagne für Demokratie und gegen Rechtsradikalismus. Zum Auftakt hat sich Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) am Montagabend mit 40 Vertreterinnen und Vertretern relevanter Organisationen und Unternehmen getroffen, zu einem ‚Dialog für Demokratie‘.“
(Bernd Kastner, Leon Lindenberger: „Sei ein Mensch!“ SZ 6. 3. 2024, S. R 3)

Kommunikationsforscher der Universität Hohenheim haben eine Verständlichkeitsstudie durchgeführt und dabei Reden im Deutschen Bundestag analysiert. Besonders achteten sie auf Schachtelsätze, übermäßige Verwendung von Fremd- und Fachwörtern, Anglizismen. Für diese formale Ebene kamen sie zu einem eher positiven Ergebnis:
„Politiker sprechen gar nicht mal so unverständlich.“ Allerdings mit erheblichen Unterschieden.
Und was ist mit den Inhalten? Dazu der Studienautor Frank Brettschneider:
„Unfug wird nicht dadurch richtig, dass er formal verständlich formuliert ist.“
Fazit des Artikels:
„Dabei wollen Politiker ja vor allem eins: verstanden werden.“
(Vivien Timmler: Wer versteht die Politiker? SZ 6. 3. 2024, S. 1)

„The Sound of Dialogue – Gemeinsam Zukunft bauen“, so lautet das Jahresthema des Deutschen Koordinierungsrats für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit für das Jahr 2024 – 5784/85
(https://www.deutscher-koordinierungsrat.de/dkr-tagungen-Studientagung-Jahresthema-2023)
Und das war dann auch das Thema der Münchner Woche der Brüderlichkeit im März 2024.
„Im Münchner Rathaus wurde im Juli 1948 die erste Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ gegründet – mittlerweile gibt es mehr als 80 deutschlandweit.“
(Interview während der Woche der Brüderlichkeit mit Andreas Renz, dem katholischen Vorsitzenden. SZ 5. 3. 2024, S. R 4).
Andreas Renz zum aktuellen Antisemistismus in Deutschland: „Es ist enorm frustrierend, weil wir viel an Dialog und Begegnungsmöglichkeiten aufgebaut haben. (…) Der Antisemitismus ist für mich letztlich ein Rätsel. Ich habe mich viel damit beschäftigt, auch mit dem christlichen Antijudaismus. Es gibt Erklärungsmodelle, wie und warum Hass und Vorurteile entstehen, aber so richtig nachvollziehen kann ich das nicht.“

Über den italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella:
„Als über den Parteien stehendes Staatsoberhaupt seit 2015 genießt er hohe Autorität. Immer wieder rückt er in seinen beinahe täglichen großen Reden zurecht, was unter Meloni verrutscht, etwa postfaschistisches Vokabular ihrer Gefolgsleute oder staatsautoritäre Reflexe ihrer Minister. Die Regierungschefin versagte sich dazu bisher Widerworte – was gut war für sie und fürs große Ganze.“ Jetzt allerdings gab es doch einen Zusammenstoß, nachdem die Polizei bei einer Demonstration sehr hart aufgetreten war.
(Marc Beise: Gewalt auf der Piazza. SZ 4. 3. 2024, S. 4)

„Vor allem aber würde eine deutsch-französische Allianz an der Spitze Europoas wichtiger sein denn je, nicht zuletzt für Deutschland selbst, das ohne Atomwaffen und mit unterbesetzter Bundeswehr blank dasteht. Es genügt schon jetzt nicht, dass sich Scholz und Macron jeweils auf Kosten des anderen profilieren. Sie müssen endlich zusammenfinden.“
(Nicolas Richter: Machtworte im Flüsterton. SZ 2./3. 3. 2024, S. 4)

Roberto Saviano, Autor des Bestsellers Gommorha, schreibt seit vielen Jahren über die Mafia in Italien und außerhalb, gerade auch in Deutschland. Wegen zahlreicher Morddrohungen muss er sich verstecken und steht ständig unter Personenschutz. Angesichts von vielen Anfeindungen leider auch aus der Mitte der italienischen Gesellschaft hat er in diesem Interview gesagt:
„In meinem eigenen Land sind viele Menschen gegen mich, denken, ich profitiere vom Leid und dem Mafia-Thema. (…) Der Satz, den ich in Italien am häufigsten gehört habe, war: Wenn die Mafia ihm wirklich etwas Böses antun wollte, dann hätte sie es schon getan.“
Darauf die Frage der Interviewerin: „Sie schreiben trotzdem weiter. Warum?“
Saviano: „Vendetta.“
Interviewerin: „Rache? An wem wollen Sie sich denn rächen?
Saviano: „Auch mir tut dieses Wort weh. Aber ich glaube nicht mehr, dass ich mit Büchern irdendwas ändern kann. Ich träume davon, es so zu machen wie ‚Der Graf von Monte Christo‘, zurückkehren und mich an all jenen rächen, die mein Leben ruinierten. Jornalisten, Politiker, dieser menschliche Wust aus Neid und Wut.“
(Maxi Leinkauf: „Warum ich weiterschreibe? Vendetta.“ Freitag, 29. 2. 2024, S. 21)
Bemerkung: Das hier Gesagte steht in einem besonderen Spannungsverhältnis zum übernächsten Zitat.

Filmemacher mit Sprachphobie
So ist ein kleiner Artikel überschrieben im Spiegel vom 2. 3. 2024, S. 118. Dort heißt es:
„Dennis Villeneuve, 56, Drehbuchautor und Regisseur der neuen ‚Dune‘-Verfilmungen, offenbarte eine für seinen Berufsstand überraschende Abneigung: ‚Ehrlich gesagt, hasse ich Dialoge. (..) Dialoge sind was fürs Theater und fürs Fernsehen. (…) In einer perfekten Welt würde ich einen fesselnden Film machen, der sich nicht nach einem Experiment anfühlt, aber dennoch kein einziges Wort enthält.'“

„Ho cercato di mettere in musica i preziosi discorsi teatrali di questa
divinità, che fa appello all’animo pacifico dei suoi concittadini. Non
più la violenza per dirimere questioni, ma il dialogo. Non più la spada
per vincere, ma il pensiero per convincere. Non più il campo di
battaglia, ma il tribunale dell’Areopago.
Non più il sangue ma la parola.“
(„Ich habe versucht, die kostbaren poetischen Reden dieser Gottheit zu vertonen, die an die friedlichen Seelen ihrer Mitbürger appelliert. Nicht mehr Gewalt, um Konflikte beizulegen, sondern Dialog. Nicht mehr das Schwert, um zu gewinnen, sondern der Gedanke, um zu überzeugen. Nicht mehr das Schlachtfeld, sondern der Hof des Areopags.
Nicht mehr das Blut, sondern das Wort.“)
So hat es Nicola Piovani, italienischer Komponist, zu der von ihm geschaffenen Kantate Il sangue e la parola (Das Blut und das Wort) geschrieben. Sie wurde am 22. 7. 2022 auf dem Quirinalsplatz in Rom im Beisein des italienischen Staatspräsidenten Sergio Mattarella uraufgeführt. In ihr geht es, inspiriert von Aischylos‘ Eumeniden und von den Müttern und Vätern der italienischen Verfassung von 1947, um die Überwindung von Blutrache und Gewalt zugunsten des Wortes, des Geistes, der Gerechtigkeit.
Näheres siehe: https://www.cortecostituzionale.it/jsp/consulta/rapporti_cittadini/media/libretto_di_sala_concerto_22_luglio_2022.pdf
Und: https://www.raiplay.it/video/2022/07/Il-sangue-e-la-parola—Non-la-spada-ma-la-parola-illumini-la-via-b4b76fd8-2de5-437b-a405-b6cdba7495bb.html

Nachdenkliches auf dem Nockherberg, so lautet eine Überschrift auf der Seite 1 der SZ vom 29. 2. 2024. Es geht um die traditionsreiche Starkbierprobe an diesem Münchner Ort. Die Veranstaltung ist berühmt dafür, dass die zahlreich anwesende Politprominenz „derbleckt“ wird, d.h. mit Spott durchtränkte Kritik aushalten und dabei gute Figur machen muss. Die zentrale „Bußpredigt“ hielt am Abend zuvor der Kabarettist Maximilian Schafroth.
An den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und seinen Stellvertreter Hubert Aiwanger gingen u.a. diese Worte:
„Eine Spirale der verbalen Hochrüstung ist das, was ihr die letzten zwölf Monate abliefert. (…) Bringen wir die Demokratie mal an ihre Grenzen wie den alten Diesel am Reschenpass. (…) Weg von den langweiligen Fakten. Hin zur Emotion.“
Stattdessen als Schlussforderung an die beiden: „Abrüsten statt Aufrüsten, Anstand statt Hetze.“

„Seit über zwanzig Jahren sind wir Freunde. Aber wir sind selten einer Meinung, schon gar nicht, wenn es um den Nahostkonflikt geht.“
So beginnt ein bewegender Zeitungsartikel (SZ 28. 2. 2024, S. 9) von Navid Kermani in Köln und Natan Snaider in Tel Aviv. Direkt nach dem 7. Oktober 2023 sah es so aus zwischen ihnen:
„Da sprachen und schwiegen wir am Telefon, über dreitausend Kilometer hinweg fühlte der eine den Schmerz, der andere das Mitgefühl. Ohne es zu formulieren, wurde uns noch einmal bewusst, was unsere Freundschaft über die bloße Sympathie hinaus ausmacht: dass wir bei allem Streit immer versucht haben, uns in die Lage des anderen hineinzuversetzen.“
Doch später ging es unter anderem so weiter:
„Aber der Krieg wird euch niemals Sicherheit bringen, schrie der eine ins Telefon, denk doch mal nach! Solange die Hamas existiert, wird es niemals Frieden geben, schrie der andere zurück, siehst du das denn nicht?“
So extrem auch die Emotionen angesichts dieser extremen Wirklichkeiten sein mochten, die beiden verloren nicht den Gesprächsfaden. Und zum Ende des Artikels hin sagen sie gemeinsam:
„Wir sind davon überzeugt, dass der permanente Krieg und der absolute Sieg, der Israelis wie Palästinensern von unverantwortlichen Führern versprochen wird, keine lebenswerten Optionen sind. (…) Welche Massaker und welche Kriege braucht es noch, damit der Letzte begreift, dass das Existenzrecht der einen das Existenzrecht der anderen bedingt?“

Aus einem SZ-Artikel zu den antisemitischen Äußerungen bei den Preisverleihungen der Berlinale am 24. 2. 2024:
„Deutschland kann es besser, als diese teuren Peinlichkeiten weiter zu dulden. Die Distanz zum Geschehen, die großen Mittel und die vielen Institutionen, die hier eigentlich bereitstehen, um den Dialog um die Zukunft von Israel und Palästina zu führen – all das bedingt eine Verpflichtung zum ambitionierten Diskurs. (…) Es gibt genügend Menschen, die so einen Dialog kenntnisreich führen können, ohne auf abgeschmackte Posen und hasserfüllte Lügen zurückzugreifen.“
(Nils Minkmar: Die Schande von Berlin. SZ, 27. 2. 2024, S. 9)