Ressentiments

Jürgen Müller-Hohagen

Während im Begriff des Vorurteils das Hauptgewicht in einer – allerdings subjektiv verzerrten – Aussage über das Objekt liegt („Die Juden sind geldgierig“), verhält es sich beim Ressentiment genau umgekehrt: Hier geht es vorrangig um Vorgänge im Subjekt, um dessen inneren Groll.

Léon Wurmser hat dazu in seinen Büchern Flucht vor dem Gewissen und Die zerbrochene Wirklichkeit wichtige Analysen in psychoanalytischer und philosophischer Richtung vorgelegt. Bei Ressentiments handelt es sich demnach um innersubjektive Dramen, die oft in großer Heftigkeit auftreten, also mit lodernden Affekten und heißen Emotionen. „Mir ist Unrecht geschehen“, das ist der Kernsatz. Aus diesem Zentrum der seelischen Erregung richtet sich der Zorn nach außen. Ob das allerdings die tatsächlichen Verursacher sind, steht dahin. Vielmehr finden häufig Verschiebungen auf Sündenböcke statt. Insofern überschneidet sich das Ressentiment mit dem Vorurteil, arbeiten beide Hand in Hand.

Das Ressentiment wuchert in den Untergründen. Es kreist um sich selbst. Ein waberndes Gefühl des erlittenen Unrechts macht sein Zentrum aus. Was davon einer objektiveren Überprüfung standhält, spielt bei heftigen Ressentiments kaum eine Rolle.

Was verleiht Ressentiments ihre Durchschlagskraft? Kann es wirklich das bewusste Erleben sein, aktuell Unrecht erlitten zu haben? Nein, meist liegen die eigentlichen Gründe für die Ressentiments tief im Unbewussten und weit zurück in einer schwierigen Vergangenheit. Oft drehen sie sich, insbesondere im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus, um das bohrende, aber entsprechend abgewehrte Thema von Schuld.

Erst recht wenn Ressentiments sich gegen Juden wenden, ist ihr Motor häufig das eigene dunkle Wissen um persönliche, familiäre oder kollektive Schuldverstrickung. Dieses Wissen aber gilt es von sich fernzuhalten, und das geschieht unter anderem mit Hilfe jener Ressentiments.

Mögen Leute noch so vernünftig und gebildet wirken, sie können sich plötzlich unerwartet rigide zeigen, wenn das Thema der deutschen Schuld angerührt wird. Dann wird ohne Nachfragen unterstellt, man wolle kollektive Schuldzuschreibungen vornehmen, dann wird die „kollektive Verantwortung“, die doch das „richtige“ Thema sei anstelle von Schuld, beschworen, und manches Mal schwingt mit, sich „wehren“ zu müssen gegen ein „Auge um Auge“ und eine „Verfolgung bis in dritte und vierte Glied“, wie es im Christentum ja überwunden sei. Es wabert dann nur so vor antijüdischen und antisemitischen Ressentiments und Vorurteilen. Phantasmas schwirren durch die Untergründe. Da mag sich Manches verbinden von altem „Die Juden sind unser Unglück“ mit heutigem „Wir sind wieder wer“ zu einem trotzigen „Das wird man jetzt doch einmal sagen dürfen“.

Es sind Ressentiments in einer Verbohrtheit, einer Unerreichbarkeit, dass der konkrete psychologische Zugang sehr erschwert ist.

Das Ressentiment sieht Wurmser als „Gegenstück zur Loyalität“, nämlich „das Gefühl der verratenen Loyalität: ?Ich habe meinen Teil geleistet, und du hast mir den deinen vorenthalten.'“

Das Ressentiment sei „nicht einfach ein Synonym für Enttäuschung oder Zurücksetzung, für Scham oder Neid, für brennende Eifersucht und Rachgier – obwohl alle diese in das Ressentiment hineinspielen und ihm wohl auch als breite Basis zugrunde liegen -, sondern es ist das Ungerechtigkeitsgefühl (the sense of unfairness), was mir dabei als ganz unerlässlich vorkommt.“

Der soeben genannte Punkt ist äußerst wichtig, nämlich die hier von Wurmser angesprochene ethische Dimension im Ressentiment, insbesondere die Dimension des (verletzten) Gerechtigkeitsgefühls. Bei dessen tatsächlicher oder vermeintlicher Verletzung werden zerstörerische Affekte mobilisiert, und dadurch werden viele Ressentiments so gefährlich und sind so schwer für eine Überprüfung an der Wirklichkeit zu erreichen.

Insofern bestehen enge Verknüpfungen zwischen Ressentiment, Loyalität und Destruktion. Das gilt in der Spannweite vom individuellen Seelenleben bis zur internationalen Politik.
Die tiefe Ambivalenz, wie sie hier mit Blick auf Loyalität und Ressentiment für den Bereich der höchstgestellten Ideale sichtbar wird, die Gefahr des Umkippens ins genaue Gegenteil bis hin zum absolut Bösen, das wird in Wurmsers Werk, am allerdeutlichsten in seinem Buch Die zerbrochene Wirklichkeit, in ungewöhnlicher Klarheit gesehen.

Das ist eine Perspektive, die einen wichtigen Hintergrund für die Arbeit des Dachau Institut Psychologie und Pädagogik ausmacht.