Unvollendete Vergangenheit

Angst – eine instinktive Reaktion

Henk Jan Kater

Es war ein schöner, warmer Morgen mitten im Sommer. Bram und Moos, Mitglieder eines Wandervereins, laufen in Rotten von jeweils vier quer durch Amsterdam. Am Amstelfluss sieht Bram plötzlich Joseph Mengele am Uferkai. Mengele war bekannter Maßen der berüchtigte Selektionsarzt in Auschwitz.

Bram ist ganz erschrocken. Eine Angstwelle überrollt ihn, und er ruft Moos und den anderen Mitwanderern zu: „Haltet an! Haltet an!“

„Wieso?“, will Moos wissen.

„Dort am Kai steht Joseph Mengele.

Alle Vierer-Rotten bleiben auf einen Schlag stehen, und jeder schaut erstaunt auf Joseph Mengele. Nur Moos zuckt die Achseln und sagt:

„Die Rotten sollen weiter wandern. Er darf nicht glauben, wir seien alle ausgerottet.

Möglicherweise ist es erschreckend, hier so unvermittelt am Anfang auf diesen jüdischen Witz zu stoßen. Man erwartet so etwas nicht. Aber war man nicht schon vorgewarnt? Im Titel heißt es doch, dass es um Angst als eine instinktive Reaktion geht und um unvollendete Vergangenheit. Oder sind Sie zu sehr vom Bild abgelenkt worden – ein Photo von einer baumumzäunten Schlossallee?

Vielleicht wäre es klarer gewesen, wenn ich den Titel dieses Bildes gleich miterwähnt hätte: Schuldige Landschaft.

Dieser Witz war nicht als schwarzer Humor gemeint. Und eigentlich handelt es sich eher um eine Anekdote. Meiner Ansicht nach kann es kein Witz sein, weil zuviel Tiefgang und eine Lebensweisheit enthalten sind – mehr, als es in einem Witz möglich ist.

Brams Reaktion ist eine existenzielle Reaktion. Die Angst, die ihn überrollt hat, lähmt ihn, und deshalb kann er nicht mehr weiter wandern. Eine völlig logische Reaktion nach allem, was Bram in seinem Leben erfahren hat.

Auch Moos hat seine eigene Portion Elend erlebt. Sein Elend war gewiss nicht kleiner als das von Bram. Trotzdem zeigt Moos eine ganz andere Reaktion. Wie ist das möglich? Wieso reagieren Menschen so unterschiedlich? Warum ist die Vergangenheit für Einen vollendet und für einen Anderen nicht?

Angst und Furcht

Heutzutage scheint das Wort Angst, jedenfalls in den Niederlanden, einen modischen Klang zu bekommen. Meistens hat es dabei gar keinen richtigen Inhalt, so sehr fehlt es hier an Kenntnissen und Einsicht.

In einem Comic liegt Charlie Brown im Bett und führt ein Selbstgespräch: „Das ist verrückt. Manchmal liege ich im Bett, und es gibt überhaupt nichts zu grübeln. Darüber grüble ich manchmal.

Natürlich deutet Grübeln nicht immer auf Angst hin. In diesem Comic-Text ist überhaupt nicht die Rede von Angst – es wäre klarer gewesen, wenn dort gestanden hätte: „Das macht mir Angst!“ . Aber das hat es nicht.

Grübeln hat eigentlich mehr Bezug zu Furcht. Aber in den Niederlanden macht man oft keinen scharfen Unterschied zwischen Angst und Furcht, und so wird auch Grübeln oft mit Angst zusammen gebracht.

Es gibt tiefliegende Unterschiede zwischen Angst und Furcht. Furcht verweist auf etwas Konkretes.

Zwei Beispiele werden den Unterschied verdeutlichen:

(1) 

Ein Mädchen von zweiundzwanzig Jahr verhält sich wagemutig. Sie taucht im kompletten Taucheranzug in Tiefen von bis zu vierzig Metern, während ihre jüngere Schwester Angst vor dem Wasser hat. Und sie kann begeistert über die verschiedensten Lebewesen unter Wasser erzählen, schreit aber ganz laut, wenn sie eine Spinne sieht – wie klein diese nützliche Tierchen auch sein mögen: Sie hat Angst.

(2) 

Ein Polizist fürchtet sich, in eine Schießerei zu geraten. Er hat so etwas schon mitgemacht. Eine Schießerei kann er sich konkret vorstellen. Daneben hat er Angst vorm Fliegen, wieso, weiß er nicht.

Furcht ist konkret und vorstellbar, Angst dagegen nicht konkret, sondern vage und verschwommen, bezieht sich im Wesentlichen auf etwas nicht Voraussagbares.

Es ist auffallend, wie die Werbung, um Geld zu machen, verschiedene Gefühle von Furcht missbraucht und in diffuse Angst überführt. Als Beispiel können wir die Abspeckmanie nehmen.

Wissenschaftlich wurde nachgewiesen, dass Übergewicht schädlich und gefährlich ist, und darauf spielen die Hersteller von Abmagerungsprodukten an. Hinzu kommt noch, dass die Modekultur sich einmischt. Besonders Frauen entwickeln vor diesen Hintergründen Bulimie und Anorexia Nervosa. De facto ist das merkwürdig, denn bei Frauen lagert sich überflüssiges Fett unter der Haut ab und kann dort nur wenig Schaden anrichten. Bei Männern dagegen geschieht dies auf viel gefährlichere Weise, nämlich in der Bauchhöhle, und dadurch werden verschiedene Organe weggeschoben und eingeengt, und das führt zu gravierenden Gesundheitsproblemen. Nicht die Frauen also, sondern die Männer sollten sich um ihr Übergewicht kümmern, doch in der Werbung sehen wir genau das Gegenteil.

Man kann demnach behaupten, dass der Blick der Anderen es bewirkt, wenn dicke Frauen mit ihrem Gewicht hadern. Das ist aber keine Furcht mehr, sondern Angst.

Ein schönes Beispiel, wie so etwas manipuliert wird, sind die Weight Watchers. Sie propagieren Schlankheit, doch in Wirklichkeit sind sie ein Geschäftszweig von Heinz, also eines Lebensmittelkonzerns, der zum Beispiel Werbung macht mit 56 Geschmacksrichtungen von Tomatenketchup und der außerdem auch Sandwichspread und noch weitere Dickmacher verkauft.

Man sollte sich nicht unbedingt fragen, wieso Menschen sich dick machen – täglich sorgt die Werbung schon für genug Kunden.

Das Anspielen auf Angstgefühle ist ein beliebtes Verkaufsargument nicht nur in der Werbung, sondern auch für Therapien. So gibt es einen Überfluss an psychotherapeutischen Angeboten gegen Fettsucht.

Manchmal scheint es, als ob Menschen überhaupt keine Angst haben dürften und als ob es ein Recht gäbe, alle Angst auszutreiben. Es ist völlig kurzsichtig, so etwas zu wollen. Angst ist vielmehr ein unbedingt notwendiges Übel, denn Angstgefühle sind außerordentlich wichtig zum Überleben.

Angst ist nämlich eine instinktive Reaktion. Sie stellt ein Warnsignal gegen drohende Gefahren dar und gehört zu uns als Lebewesen. Das entsprechende Signalsystem wird uns genetisch weitergegeben.

Mit Hilfe unserer kognitiven Fähigkeiten können wir bis zu einer gewissen Ebene ein bestimmtes Maß an Angst ertragen.

Zuviel Angst kann uns buchstäblich lähmen. Wir verlieren unsere Kontrollfähigkeiten und werden nur noch von Angstimpulsen beherrscht.

Zuwenig Angst dagegen kann uns übermütig machen oder uns träge werden lassen, statt tüchtig und zugleich vorsichtig zu sein.

Manchmal macht man einen Unterschied zwischen positiver und negativer Angst, aber es gibt keine positive Angst, auch keine negative Angst. Angst ist immer ein neutraler Begriff.

Nur den Einfluss von Angst auf unser Leben und auf unsere Leistungen können wir als positiv oder negativ betrachten.

Leider lähmt Angst ziemlich oft und hat dann eine negative Wirkung. Nicht umsonst hat Kierkegaard einmal geseufzt, dass Angst nichts für Schwächlinge sei.

Angst ist nicht nur notwendig zum Überleben, sondern auch um erwachsen zu werden. Mit Hilfe von Angst können wir unsere Grenzen entdecken. Jede Grenze ist individuell sehr unterschiedlich. Dabei kommen auch Verzweiflung und Hoffnung ins Spiel.

Eine lähmende Angst kann uns nämlich verzweifelt machen, d.h. uns kann die Hoffnung verloren gehen. Es ist aber ein Missverständnis zu glauben, Angstgefühle seien ein Zeichen von Schwäche.

Die Angstreize warnen uns vor drohendem Unheil und können uns behilflich sein, eine passende Reaktion zu entwickeln. In dieser Hinsicht kann Angst hier auch in Furcht übergehen.

Ist eine Reaktion aber immer passend zu nennen? Unter dem Einfluss von Angst kann man ganz leicht auch die falschen Entscheidungen treffen.

Eine ganz wichtige Frage ist deswegen, ob man eine passende Reaktion erlernen kann. Ist so etwas überhaupt möglich? Zurückkehrend zur Anekdote über Bram und Moos: Wieso möchte Bram aufhören, in Rotten zu wandern, und wieso stellt Moos fest, dass er jedenfalls nicht ausgerottet ist?

Das sind Kernfragen in diesem Artikel – ist Angst vielleicht zu überwinden durch Erziehung und Selbsterziehung?

Angst und Hoffnung

Besiegen von Angst ist möglich, solange man Gefühle von Hoffnung hat. Der Verlust von Hoffnungsgefühlen bedeutet: Man fängt an, das Vertrauen in den Sinn des Lebens und des eigenen Daseins zu verlieren.

Hoffnung ist eines der wichtigsten Daseinsmerkmale. Man kann sie sogar als eine sinnvoll gezielte Handlung ansehen. Dennoch ist der Begriff „Hoffnung“ nicht leicht zu definieren oder zu beschreiben. Es handelt sich nämlich immer um ein subjektives Erleben. Und so schade es ist, kann man doch subjektives Erleben empirisch prinzipiell nur mit Schwierigkeiten messen.

In Gefangenschaft – besonders wenn man nicht weiß, wie lange sie dauern wird und ob man sie überleben kann – sterben viele, weil sie ihren Glauben an eine bessere Zukunft aufgeben.

Zwei Beispiele:

(1) 

In einem Männerlager auf Java während des Zweiten Weltkriegs haben viele Männer ihren Bart wachsen lassen, wegen Mangel an Rasierklingen. Diese Männer sind von den anderen Gefangenen immer genau beobachtet worden. Es war nämlich ein unheimliches Zeichen, wenn sie ihren Bart nicht pflegten. Meistens starben diese Männer innerhalb von wenigen Wochen.

Um die Männer zu unterstützen und ihren Blick wieder auf die Zukunft zu lenken, organisierte man verschiedene Aktivitäten, sogar „beauty contests„.

(2)

In den meisten Männerlagern hat man kulturelle Ereignisse organisiert. In diesen Lagern waren auch Jungen von 10 bis 13 Jahren. Sie erhielten Schulunterricht, und man sorgte sogar für Prüfungen. Bei gutem Erfolg bekamen die „Kandidaten“ handgeschriebene Zeugnisse, von denen man hoffte, dass sie nach dem Krieg als gültig betrachtet würden.

Die Japaner haben diese Formen von Schulung strengstens untersagt: Schulung bedeutet implizit Hoffnung auf eine bessere Zeit, eine bessere Zukunft.

Verlust von Hoffnung kann dazu beitragen, dass man von chaotischen Gefühlen überwältigt und gequält wird. Leider sind solche Gefühle oft genug sehr subjektiv – man kann sie manchmal nicht in Wörter fassen. Man wird verwirrt und kann leicht seine Kontrollmöglichkeiten verlieren.

Es gibt in der psychologischen Literatur interessante Bücher und Artikel zu diesem Thema.

Am Ende dieses Artikels finden Sie eine kleine Auswahl.

Selbstkonfrontation

In Holland gibt es ein spezielles Problem, das sich so eingebürgert hat, dass viele Lehrer, Eltern und Kinder felsenfest von seiner Existenz überzeugt sind.

Es heißt Faalangst. Das bedeutet ungefähr: Angst vor Scheitern, Versagensangst.

Der Begriff ist „erfunden“ worden von Hermans (1975). Man nennt es Versagensangst, aber eigentlich handelt es sich um Versagensfurcht.  

Wir haben schon angedeutet, wie Furcht sich von Angst unterscheidet. Angst ist neutral und nicht-konkret, während Furcht gerade sehr konkret ist.

Wichtig ist zu wissen: nur in Holland gibt es den Begriff Faalangst. Er ist schwer in eine andere Sprache zu übersetzen. In Deutschland spricht man in diesen Fällen von „Versagensangst„.

Hermans hat schon nach einigen Jahren seine Theorie vervollständigt, indem er seine Selbstkonfronta­tionsmethode propagierte.

Es gibt viele Unterschiede zwischen Versagensangst und Selbstkonfrontations­methode.

Letztere bedeutet im Wesentlichen einen Wechselkurs auf die Zukunft: Man versucht neue Verhaltensmuster zu lernen, wodurch man zukünftige angsterzeugende Erfahrungen besser verkraften kann.

Das Wort Selbstkonfrontations­methode bedeutet, dass man sich selber mit allerhand aufregenden Erfahrungen konfrontiert, auch mit solchen, vor denen man bisher Angst hat. Die Absicht ist dabei, dass man lernt, sich gegen Aufregungen zur Wehr zu setzen.

In dieser Art arbeitet man wesentlich an der Zukunft. Leider gelingt das oft genug aber nicht, und so können unbewältigte Angstgefühle ihre zerstörerische Wirkung weiterführen: Es ist allgemein bekannt geworden, dass Folgen traumatischer Erfahrungen oft erst nach Jahren voll hervortreten.

Man redet in diesen Fällen von verspäteten Reaktionen.

Manchmal dauert es sogar Jahrzehnte, bis solch eine verspätete Reaktion auftritt. Es scheint, als ob die Angst in dieser Zeit Verstecken gespielt hat und plötzlich wie ein Teufelchen aus einer Pappschachtel hochspringt.

Wir sehen es in dem nächsten Beispiel:

Eine Frau kaufte Lebensmittel in ihrer Nachbar­schaft ein. Es war eine ruhige Gegend, dazwischen ein paar Ausländer. In  den Augen der dort wohnenden Holländer waren das aber keine „richtigen“ Fremden, sondern gutbezahlte amerikanische, japanische und arabische Geschäftsleute.

Die Frau hatte gerade ihre Einkäufe gemacht und war in Eile. Deswegen hatte sie kein Auge für ein paar kleine japanische Kinder, die sich auf dem Gehsteig mit dem Hinkespiel vergnügten. 

Sie stolperte unvermeidlich über ein Kind, und augenblicklich schlugen alle ihre Sicherungen durch. Sie spürte, wie Angstwellen hochkamen und ihren Körper im Besitz nahmen. Sie schimpfte die Kinder heftig aus.

An sich kann so etwas eine normale Reaktion sein. Man ist erschreckt und reagiert sich ab. Aber sie schimpfte die Kinder nicht auf Holländisch aus, sondern kurz bellend mit Schreien auf Japanisch. Es waren japanische  Schreie und Befehle: Tjotskeh!, Kireh! und Naureh!.

Es waren die Schreie, die sie Jahrzehnte zuvor täglich gehört hatte, als Kind in einem japanischen KZ eingesperrt. Die Schreie waren damals demütigend und erniedrigend: tjotskeh (strammstehen!), kireh (niederknien!) und naureh (rührt euch!).

Eine seit Jahrzehnten verborgene Angst war plötzlich spürbar geworden und äußerte sich in einer, bezogen auf die heutige Situation, negativen Art.

Selbstverständlich hat sie im KZ ihre Emotionen und Gefühle nicht äußern können, sonst wäre sie geschlagen worden oder noch schlimmer. Es war damals nicht gestattet, und sie hatte es auch nie getan. Nach dem Krieg konnte sie ihre Ängste nicht adäquat äußern – jeder war zuviel mit sich selber beschäftigt. Jeder leckte seine Wunden, wodurch sich kein einziges zuhörendes Ohr für sie fand.

Sie entbehrte die unentbehrliche Stütze, und als ihr später so etwas entgegen kam, hatte sie das Gefühl, dass es nicht echt war.

Emotionen und Gefühle nicht äußern zu können, nicht äußern zu dürfen, ist fatal für jeden Menschen.

Menschen sind gesellig lebende Tierwesen, was nicht bedeutet, dass wir immer nur gemütlich miteinander leben müssten. Aber es bedeutet, dass wir unweigerlich mit Anderen zusammenleben, sei uns dies nun angenehm oder nicht.

Kontakte mit Anderen sind wichtig, weil man Hoffnung daraus gewinnen und Glauben an die Zukunft gewinnen kann. Das geht nur, wenn man sich mit sich selber konfrontieren kann.

Schuldige Landschaft

Armando ist ein niederländischer Künstler – er ist Maler, schreibt Gedichte und musiziert. Vielen seiner Werke liegt Vergangenheit zugrunde – die deutsche Besetzung der Niederlande. Als Kind wohnte er in der Nähe des Lagers Amersfoort, und die damaligen Eindrücke haben ihn nicht nur als Menschen, sondern auch als Künstler geprägt. Titel einiger seiner Gemälde sind: „Schuldige Landschaft“, „Der Zaun“, „Espace criminel“, „Peinture criminelle“ und „Gefechtsfeld“.

Natürlich kann eine Landschaft nicht schuldig sein – Menschen sind es, die sich schuldig machen. Aber es ist möglich, das die Verbrechen von Menschen so schwerwiegend geworden sind, dass man sogar die Landschaft für mitschuldig erklärt.

Philosophisch und psychologisch nennt man derartige Vorstellungen, in denen menschliche Verhältnisse so verallgemeinert werden, anthropomorph.

Der Titel des Anfangsbildes ist Schuldige Landschaft. Beim ersten Hinschauen stimmt dieser Titel nicht, doch es ändert sich, wenn man weiß, wo es an einem Nachmittag aufgenommen wurde: im Schlossgarten von Dachau.

Dachau ist eine kleine Stadt, wo mit das erste KZ der Nazis errichtet wurde. Das Lager wird sehr oft besucht. Das Schloss weniger – und von anderen Leuten.

Die Vergangenheit von Dachau ist immer noch nicht abgeschlossen. Es ist sogar fraglich, ob sie jemals abgeschlossen werden kann. Man sollte aus der Vergangenheit lernen. Aber das gilt hier vor allem als deutliche Warnung für die nächsten Generationen.

Auf der Ebene des Individuums ist es besser, zwar die Vergangenheit nicht zu vergessen, aber ihr auch nicht so weit Übermacht zu geben, dass es sich im Heutzutage nicht mehr ausreichend gut leben ließe. Instinktive Angstreaktionen bekämen sonst leicht Auftrieb. Oder zumindest ist es hier wichtig, sie wenigstens so weit abzubiegen, dass leichter mit ihnen umzugehen ist.

Meistens kostet so etwas viel Aufwand. Es ist nämlich leichter, etwas zu lernen, als es zu verlernen.

Jedenfalls muss man sich in Acht nehmen mit den Wörtern. Das gilt auch für den Bereich der Therapien. Die meisten von ihnen bauen auf der Sprache auf, aber glücklicher Weise gibt es heutzutage auch eine Menge von brauchbaren Therapiearten, die weniger sprachabhängig sind.

Ich nenne jetzt nur eine kleine Auswahl:

  • Kurzfristige  psychodynamische Therapie von Horowitz
  • Hypnotherapie
  • Kreative Therapie     
  • Rational-emotionale Therapie         
  • Neuro-linguistisches Programmieren
  • De-Konditionieren    
  • Eye Movement Desensitization and Reprocessing  
  • Desensitivierung

Schlussfolgerung

In diesem Artikel wird dafür plädiert, mit der Vergangenheit umzugehen. Aber: Zuviel und zulange in der Vergangenheit zu leben beschädigt die Gegenwart. Man verliert seine Hoffnungsgefühle und wird nur von schmerzhaften Erinnerungen gelebt.

In der Sprachwissenschaft spricht man von einer unvollendet vergangenen Zeit, um grammatikalisch anzugeben, dass etwas schon geschehen, aber noch nicht abgeschlossen ist:

  • ich bin ist gegenwärtige Zeitform;
  • ich war ist unvollendete vergangene Zeitform;
  • ich war gewesen ist vollendete vergangene Zeitform.

Ich war gewesen verweist nämlich auf eine Abgeschlossenheit.

Hat man seine Vergangenheit gut abgeschlossen und damit vollendet, so ist man im Stande, sich auf die Zukunft zu richten. Man bekommt Hoffnung und kann sein Leben selber einrichten, ohne abgebremst zu werden von früheren Erfahrungen und Emotionen.

Literatur

Hermans H. J. M., Bergen Th. C. M en Eijssen R. W. (1975). Van faalangst tot verantwoordelijkheid en bevorderen van de motivatie in taaksistuaties op school en in het gezin. Amsterdam: Swets en Zeitlinger.

Richard S. Lazarus. Hope: an Emotion and a vital coping resource against dispair. (Artikel zu finden auf: www.findarticles.com).

Ezra Stotland. Psychology of Hope. Wiley, John and Sons, Incoperated (1969).

foto: Paul Carga, 1989

Goor, Herbst 2003

(c 1/2007)