Bombenkrieg und die Folgen
Jürgen Müller-Hohagen
Über den Bombenkrieg ist nach 1945 in den Familien und in der Allgemeinheit relativ viel gesprochen worden. Da wurden Angehörige verloren, Häuser fielen in Schutt zusammen, ganze Städte. Die Ruinen ragten jahrelang in den Himmel. Leere Grundstücke erinnern mancherorts bis heute. Der hastige Wiederaufbau führte zur Gesichtslosigkeit vieler Städte. Das Projekt Dresdner Frauenkirche erfährt breite Resonanz…
Im Bombenkrieg war man selber Opfer, vielleicht ließ sich deshalb eher darüber reden. Allerdings, dass Nazi-Deutschland begonnen hatte mit dem „Ausradieren“ ganzer Städte – Guernica, Rotterdam, Coventry – wurde im Alltag wohl ausgeklammert.
Und noch eines erhielt bis auf den heutigen Tag zu wenig Aufmerksamkeit: die seelischen Trümmerlandschaften, die der Bombenkrieg bei denen hinterlassen hat, die ihm ohnmächtig ausgesetzt waren. Das gilt für die Frauen und in nochmals gesteigertem Maße für die Kinder, die angesichts der Angriffe auch noch das Vertrauen in den Schutz der Erwachsenen verloren, denn wie können Menschen Garanten für Sicherheit sein, wenn sie selber so in Panik geraten, wie es in den Bombenkellern natürlicherweise der Fall war? So mancher Soldat, der diese Angriffe miterleben musste, hat gesagt, da sei es selbst an der Front noch besser auszuhalten.
Ohne persönliche Schuld Opfer geworden zu sein, das mag das Sprechen erleichtert haben, doch die extreme Ohnmacht, der man damals ausgesetzt war, dürfte dabei allenfalls nur bruchstückweise mitteilbar geworden sein. Niedergesunken ins Unbewusste, kann sie aber nicht vergehen, sondern sie wirkt weiter, in Albträumen, Ängsten, Symptomen, Krankheiten.
Und all das hat sich oft bis zu den nachfolgenden Generationen übertragen. Damit sich davon möglichst viel lösen kann, ist es nötig, den Blick auch auf diese Seite der Nazizeit zu richten, allgemein und ganz konkret für sich und die eigenen Vorfahren.
So ergeben sich viele Fragen für Psychologie und Pädagogik, gerade im Umfeld heutiger Gewalt und Destruktivität. Denn unausgehaltene und nicht mitteilbar gewordene Erfahrungen von Ohnmacht sind dafür eine der stärksten Quellen.