Pfarrer Hans-Ludwig Wagner

Barbara Distel

Aus der Ansprache zur Feier des vierzigjährigen Bestehens der Evangelischen Versöhnungskirche auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau

Pastor Hans-Ludwig Wagner, 1913 als Sohn einer jüdischen Mutter in Hamburg geboren, musste nach Abschluss seines Theologiestudiums und seiner Promotion, die er nur unter der Bedingung ablegen konnte, dass ihm daraus kein Anspruch auf eine Stelle bei der Hamburgischen Landeskirche erwuchs, 1937 aus Deutschland fliehen. Aber auch mehr als vier Jahrzehnte später hatte ihn, inzwischen ein dankbarer und überzeugter amerikanischer Staatsbürger, das Heimweh nach Deutschland nicht verlassen. 1980 holte der damalige Münchner Oberkirchenrat Theodor Glaser den pensionierten Pastor für sechs Jahre nach Deutschland. Vier davon verbrachte er von Frühjahr 1981 bis Ende 1984 zusammen mit seiner Frau Iva hier in Dachau. Diese vier Jahre, am Ende seines beruflichen Lebens, waren für ihn selbst von essentieller Bedeutung und für alle Menschen, mit denen er in dieser Zeit zusammenarbeitete, ein Geschenk, das man erst im Rückblick wirklich zu schätzen wusste. Als ?bewahrter Betroffener?, wie er sich selbst charakterisierte, bot ihm der Ort Versöhnungskirche auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers die Möglichkeit, all seine Kraft, seine Lebenserfahrung und seine Überzeugungen in den Dienst seiner sich selbst gestellten Aufgabe zu stellen, die er mit ?Zueinanderfinden? beschrieb. Denn die KZ-Gedenkstätte und damit auch die Versöhnungskirche wurden in diesen Jahren noch immer vorwiegend als Negativeinrichtung gesehen, durch die die schöne Künstlerstadt Dachau diskreditiert und ihre Bevölkerung an den Pranger gestellt wurde.

Ich bin in den Jahrzehnten, die ich beruflich hier tätig bin, niemals einem ebenso offenen Menschen begegnet, der jedem Gegenüber gleichermaßen ungeschützt und unvoreingenommen entgegen trat. Wer ihn nicht näher kannte, konnte seine entwaffnende Freundlichkeit vielleicht für Naivität halten. Er vertrat aber seine Überzeugungen durchaus nachdrücklich und sein freundliches Wesen hinderte ihn keineswegs daran, sich auf Konflikte einzulassen. Noch heute kommen gelegentlich Menschen in die Gedenkstätte und fragen nach dem kleinen weißhaarigen Pastor, dessen Weltläufigkeit und Humor ihnen unvergesslich geblieben ist.

Inzwischen hat sich die Welt verändert, in Dachau und anderswo. Die Aufgabe des Erinnerns und des Lernens, der dieser Ort nach wie vor verpflichtet ist, findet in der Gesellschaft der Bundesrepublik ungleich stärkere öffentliche Aufmerksamkeit und Unterstützung, als dies vor zwei Jahrzehnten der Fall war. Die Evangelische Versöhnungskirche wird in Dachau nicht mehr als Bestandteil der ungeliebten Einrichtung Gedenkstätte gesehen. Die Zahl der Besucher aus aller Welt, die jedes Jahr hierher kommen, hat sich im Vergleich zu den 1980er Jahren verdoppelt. Die Beziehungen zwischen der Stadt Dachau und der Gedenkstätte Dachau haben sich in einer Weise entwickelt und verbessert, wie man es sich vor zwanzig Jahren nicht vorstellen konnte.

Pastor Hans-Ludwig Wagner hätte sich hierüber gefreut und sicherlich gerne heute mitgefeiert. Ich verbinde meine guten Wünsche für die zukünftige Arbeit der Versöhnungskirche mit der Bitte, ihn nicht dem Vergessen anheim fallen zu lassen.

28.4.07

Barbara Distel