Verbundenheit

Beim Nachsinnen darüber, was denn nun „typisch nazihaft“ gewesen sei, denken wir fast automatisch an besondere Härte, denken an die oft so genannten „Schergen“ in den KZ. Diese Bilder individueller Grausamkeit verstellen aber den Blick auf etwas, das noch zentraler war und ohne das der riesige Erfolg des NS-Reichs nie zustande gekommen wäre: die perfekte und möglichst leidenschaftslose Organisation aller Lebensbereiche, von der Kinderaufzucht bis zur Menschenvernichtung. Worauf beruhte diese Perfektionierung zu einem bis heute kaum reflektierten Teil? Auf dem Zerschneiden von Verbundenheit. Die Volksgenossen wurden systematisch aus ihren hergebrachten Bindungen gerissen (oder gelockt), man löste traditionelle Verbundenheit auf. An deren Stelle trat die Bindung an Führer, Volk und Vaterland. Gegenüber Verfolgten und Kriegsgegnern wurde jedes menschliche Empfinden Stück für Stück zurückgedrängt bis dahin, dass ihnen die Zugehörigkeit zur Menschheit aufgekündigt wurde. Das ist Zerschneiden von Verbundenheit in extremstem Maß. Es fällt bis heute schwer, die Ungeheuerlichkeit dieses Zerreißens wahrzunehmen.

Was „ist“ Verbundenheit? Das lässt sich direkt und in wenigen Worten nur schwer definieren. Indirekt ist es eher möglich: Verbundenheit ist das, was von Nazis und anderen Gewaltherrschern systematisch zu zerschneiden versucht wurde und wird: die Bindungen zwischen Menschen, Bindungen an Familie, Umgebung, Heimat, Überzeugungen, Traditionen, Wertvorstellungen, ethische Orientierungen, religiöse und spirituelle Bezüge – Bindungen, die, indem sie binden, zugleich menschliche Freiheit erst ermöglichen.

Es geht um heutige Formen von Verbundenheit, die sich erst zaghaft aus den Desastern der politischen Gewalt hervorwagen.

Deshalb ist Verbundenheit ein zentrales Thema für das Dachau Institut. Es betrifft dessen beide Fachgebiete, die Psychologie und die Pädagogik. Darüber hinaus handelt es sich bei Verbundenheit um so etwas wie eine Quintessenz in der Arbeit des Dachau Institut. Wir sind überzeugt, dass viele Konflikte in der Welt weniger leicht in destruktive Scheinlösungen münden würden, wenn mehr über Verbundenheit, wie sie unter dem Schatten von politischer Gewalt und angesichts einer rasanten Globalisierung heute und morgen gelebt werden kann, nachgedacht und mehr in dieser Richtung praktiziert würde.

Das soll hier an einigen Beispielen gezeigt werden.