Vergewaltigungen
Jürgen Müller-Hohagen
In Deutschland war das Thema der Vergewaltigungen deutscher Frauen und Mädchen durch Soldaten der Roten Armee am Ende des Zweiten Weltkriegs und in der Deportation lange Zeit ein Tabu. Das änderte sich erst Mitte der neunziger Jahre. Wesentlich war dieser Wandel ausgelöst durch das Erschrecken und die öffentliche Anteilnahme angesichts der systematischen Vergewaltigungen während des Kriegs im ehemaligen Jugoslawien. Noch mehr als bei anderen Abgründen aus Nazizeit und Krieg hatte sich hinsichtlich von Vergewaltigungen im Kriegszusammenhang hierzulande die unbefragte Einstellung breit gemacht, von „so etwas“ ganz weit entfernt zu sein. Dass aber Frauen, die bis heute „mitten unter uns“ leben, genau dies erlitten haben und es aus Scham, Erschütterung und vor allem wegen fehlenden öffentlichen Interesses jahrzehntelang in sich haben abkapseln müssen, konnte erst jetzt ansatzweise eine breitere Öffentlichkeit erreichen.
Ohne die Verbrechen, die zuvor von deutscher Seite begangen worden waren, relativieren zu wollen, so ist es doch mehr als überfällig, das Schicksal der verschleppten Frauen und Mädchen aus den Ostgebieten für sich genommen wahrzunehmen, ihr Schicksal damals und ihr Schicksal in jahrzehntelanger gesellschaftlicher Isolierung.
Zugleich taucht dann die Frage danach auf, was von deutscher Seite an Vergewaltigungen in Terrorherrschaft und Krieg verübt wurde. Darüber wird bis heute geschwiegen.