Partnerschaft und „Geschichte in uns“ – Verwirrungen
Jürgen Müller-Hohagen
Ob wir es wollen oder nicht, ob wir es wissen oder nicht – in unsere Partnerschaften bringen wir auch unsere Herkunftsfamilie ein – und sind zugleich konfrontiert mit der jeweils anderen. In jedem Paar treffen zwei Familiensysteme aufeinander. Und jedes davon hat seine eigene Geschichte, die über Generationen reicht, und ist zudem untrennbar eingefügt in die umgebende Gesellschaft und deren Geschichte.
Gehen Menschen aus entfernten Kulturkreisen eine Beziehung ein, so erscheint die Bedeutung dieser Hintergründe als augenfällig, wird oft sogar überbetont von Seiten einer skeptischen Umgebung. Bei Partnern aus demselben Land kommt man kaum einmal auf den Gedanken, in der Geschichte einen wichtigen Faktor zu sehen. Und doch mag sie gerade hier von großem Gewicht sein, paradoxerweise vielleicht sogar in erhöhtem Maße – eben weil man nicht daran denkt.
Dabei gibt es, genauer betrachtet, doch Unterschiede zur Genüge zwischen Menschen, die sich Deutsche nennen. Preußisch und bayerisch, katholisch und protestantisch, Arbeiterherkunft und „bessere Familie“, einiges davon ist zwar mittlerweile etwas weniger konfliktträchtig geworden, doch neue Unruheherde sind hinzugekommen, vor allem: DDR und BRD. Was hier an inneren Gräben besteht, beginnen wir erst allmählich konkreter wahrzunehmen. Ein und dasselbe Wort, ein und dieselbe Geste mag Verschiedenes bedeuten im Kontext dieser so unterschiedlichen geschichtlichen Hintergründe, mag mit divergierenden Einstellungen und Gefühlen verbunden sein, Grund für eine Vielzahl von möglichen Missverständnissen und Zerwürfnissen, deren Ursachen dann aber ganz woanders gesucht werden. Kaum etwas unterhöhlt Partnerschaft mehr als die Vorstellung von Gemeinsamkeit, wo in Wirklichkeit zunächst von Unterschieden auszugehen wäre.
Noch mehr ins schwer Fassbare bewegen wir uns, wenn wir die Geschichte der zwölf Jahre des „Dritten Reichs“ ins Auge fassen und uns nach ihren Auswirkungen bis hin zu Partnerschaft heute fragen. Angesichts der zahlreichen Sendungen und Veranstaltungen im Gedenkjahr 1995 ist vielen Menschen erstmals oder jedenfalls intensiver und konkreter als bisher bewusst geworden, wie bestimmend dieser Teil der „Geschichte in uns“ immer noch sein kann – insbesondere, wenn er nicht wahrgenommen wird. Ob eine Familie zur Täter- oder Opferseite gehörte, hinterlässt gravierende Spuren. Ob Menschen Mitmacher waren, gleichgültige oder begeisterte, zustimmende oder skeptische, hat Einfluss auf Kinder und Kindeskinder. Ob Familien durch Flucht und Vertreibung ihre Heimat verloren oder im Bombenkrieg das Haus, ob nahe Angehörige ums Leben kamen oder ob man andererseits relativ unbeschadet die NS-Zeit überstand, von alldem tragen wir immer noch viel in uns. Und gerade weil die Bedeutung dieser Faktoren so lange nicht mit ihrem wirklichen Gewicht berücksichtigt wurde, ist es zu vielfältigen verdeckten Auswirkungen gekommen. Leicht werden diese dann als „rein persönliche“ Störungen angesehen.
Und wenn nun in Partnerschaften auch noch konträre Linien solcher Geschichte aufeinandertreffen, potenzieren sich die Verwirrungen.
Entwirrung ist möglich, aber nicht im Handumdrehen.
Wo hält die Nachfolgegesellschaft des „Dritten Reichs“ Orte bereit, an denen das gesucht werden kann?
Das Dachau Institut Psychologie und Pädagogik möchte im Rahmen seiner Möglichkeiten dazu beitragen, dass überhaupt solche Problematiken mehr gesehen werden.